Alter und Trauma: Begegnungen von Senioren und Flüchtlingen im Diakoniezentrum Monheim

Würde es gelingen, auf beiden Seiten die Hürden zu überwinden, die durch den Altersunterschied, die Sprachbarriere und die verschiedenen kulturellen Identitäten entstehen? Es gelang noch viel besser als erwartet: Bemerkenswert offen sprachen Senioren und Flüchtlinge über existenzielle Erfahrungen von Hunger, Durst, Kälte, Tod, Trennung und Abschied von Angehörigen und Weggefährten, von Angst und Ungewissheit sowie Zurückweisung am Zufluchtsort. Nach mehr als drei Stunden intensiver und lebhafter Gespräche, bei denen gelacht und geweint wurde, wollten beide Seiten die Begegnungen fortsetzen.

Bei der zweiten Begegnung wünschten die Senioren, möglichst viel über das Leben der Flüchtlinge und die Kulturen, Religionen und Traditionen in ihren Herkunftsländern zu erfahren. Im Laufe des Gesprächs kam die Idee auf, die Flüchtlinge zum gemeinsamen „intuitiven Musizieren“ einzuladen. Dabei kann jede und jeder ein Instrument frei wählen – auch diejenigen, die kein Instrument erlernt haben. Weniger erfahrene Teilnehmende können sich von der Musik und dem Können erprobter Musiker anregen lassen.

Die Musik als universelle Sprache hat eine neue Verständigungsform unter den Teilnehmenden geschaffen und den Kontakt auf einer weiteren Ebene ermöglicht. Aus dem gemeinsamen Musizieren entstanden neue Ideen – zum Beispiel gemeinsames Kochen oder Backen von Flüchtlingen und Senioren im Heim. Außerdem sollen Flüchtlinge, soweit möglich, auch in ein Theaterprojekt im Diakoniezentrum einbezogen werden; sie könnten sich dort ohne Text pantomimisch mitteilen. Vor allem aber können die Flüchtlinge zeigen, welche Fähigkeiten und Begabungen sie haben und einbringen: Sasan Moradi war als persönlicher Trainer professioneller Bodybuilder vor seiner Flucht mehrfach in Europa und hat außerdem im Iranischen Nationalorchester mitgespielt. Amir Hossein Tafkhimi war im Iran Rechtsanwalt und Schauspieler und außerdem als Fotograf und Läufer aktiv. Mit einer kleinen Schauspielgruppe spielte er in Krankenhäusern in Teheran für und mit krebskranken Kindern Improvisationstheater, um ihnen beizustehen und ihnen Lebensfreude zu vermitteln. Seine Theatergruppe engagiert sich auch nach seiner Flucht aus dem Iran weiter, hält den Kontakt zu ihm – und sieht, wie er selbst, sein Engagement mit Senioren in Deutschland als eine Fortsetzung an.

In wenigen Wochen entstanden intensive zwischenmenschliche Kontakte, die beide Seiten bewegen. Die Senioren nehmen die Flüchtlinge mit großer Herzlichkeit auf und zeigen intensive Anteilnahme an ihrem Schicksal und ihrer persönlichen Situation. Viele der Flüchtlinge, die oft allein nach Deutschland gekommen sind, erleben die Senioren wie eine Ersatz-Familie, die Momente von Geborgenheit schafft. Elcin Ramazanov (23) aus Aserbaidschan beschreibt es so: „Ich fühle mich sehr entspannt und sehr motiviert. Als wir zusammen musiziert und uns unterhalten haben, war ich sehr glücklich.“

Für Sasan Moradi (37) hat die erste Begegnung seine Gefühle Deutschland gegenüber nachhaltig verändert: „Nach meinem ersten Besuch im Diakoniezentrum habe ich mich hier sehr viel besser gefühlt. Ich habe immer an meine Mutter gedacht. Sie hatte Arthrose im Knie und konnte die letzten 15 Jahre ihres Lebens das Bett nicht mehr verlassen. Als ich dort im Diakoniezentrum all die lächelnden Gesichter sah, hab ich in ihnen meine eigene Mutter gesehen, und ich glaube, wenn ich den Senioren hier für ein paar Minuten ein Lächeln schenken kann, dann sieht meine Mutter es von dort, wo sie jetzt ist, und freut sich.“

Amir Hossein Tafkhimi (27) glaubt an die große Bedeutung für das Verständnis gegenüber Flüchtlingen: „Ich glaube, die Menschen hier wussten nichts über uns. Sie fragen sich, warum wir kommen, und denken vielleicht, es gehe uns um Geld. Zwischen den Deutschen und den Flüchtlingen ist eine große Mauer. Diese Mauer können wir durch die Begegnungen überwinden. Alle Menschen verfolgen die Nachrichten. Ich denke, wir müssen die Fernseher ausschalten und in direkten Kontakt mit den Menschen treten. Das Diakoniezentrum ist dafür ein guter Ort. Ich habe die Berichte darüber an alle geschickt, die ich hier kenne: Deutsche und Flüchtlinge. Ich habe ihnen gesagt: So etwas könnt ihr bei euch auch starten.“

Autor: Daniel Gehrmann

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