Hart wie Kruppstahl -
Angststörungen einer Männergeneration von Jugendsoldaten

Um Tod und Leben mit knapp 17

Herr M. leidet unter einer Angststörung. So lautete die Diagnose seines Leidens nach einer psychiatrischen Untersuchung. Er schreckt nachts hoch und wacht dann hoch erregt und schweißgebadet voller Angst auf. An die Träume kann er sich nicht erinnern. Im Alltag vermeidet er gefährliche Situationen, zum Beispiel das Fahren auf Autobahnen, das ihm Angst macht. In der letzten Zeit wagt er es nicht mehr mit dem Auto zu fahren, obwohl er seinen alten Volvo liebt und stolz auf ihn ist.

Herr M. war im Alter von 16,5 Jahren zum Volkssturm eingezogen worden und wurde als „Kanonenfutter“ in die Oderschlacht gegen die auf Berlin vorrückende russische Armee geschickt. Er überlebte wie durch ein Wunder den stundenlangen Artilleriebeschuss und wurde dann relativ schnell gefangen genommen. Er erinnert sich nicht, selbst geschossen zu haben. Seinen Schrecken und seine Todesangst durfte er damals nicht äußern:

„Am Anfang war das ein großes Abenteuer. Wir fühlten uns wie richtige Männer und waren stolz, dass wir gebraucht wurden. Als es dann zur Front ging, wurden alle stiller. Beim Artilleriebeschuss war ich erstarrt, ein Häufchen Elend, zusammengekauert in einem Dreckloch. Stundenlang. Ich habe keine Erinnerung mehr.“

Sein Körper und seine Seele jedoch erinnern sich an den Schrecken. Das Grauen steckt in ihm, auch wenn er an die schlimmsten Stunden keine Erinnerungen mehr hat. Die Angst bleibt. Tagsüber wartet sie meist im Hintergrund und kommt nur in potenziell gefährlichen Situationen zum Vorschein, zum Beispiel beim Autofahren. So schränkt sie seine Lebensmöglichkeiten seit vielen Jahren zunehmend ein. Und in der Nacht entfaltet sie ihre ganze Kraft: Die Panik bricht heftig hervor.

Wie Herrn M. ging es vielen Menschen, jüngeren wie älteren. Sie wurden als Soldaten in einen sinnlosen und verbrecherischen Krieg geschickt und waren Situationen ausgesetzt, in denen es um Leben und Tod ging. In solchen Momenten reagieren Körper und Seele mit einem Notfall- und Panikprogramm, das Jahrzehnte später vor allem nachts oder bei bestimmten Anlässen, die der schrecklichen Ausgangssituation ähneln, wieder in Gang tritt.