Panik und Scham - die Folgen von Vergewaltigung

Geringes Selbstbewusstsein

Frau O. ist leicht dement. Sie schämt sich ihrer Desorientierung und Vergesslichkeit und versucht, diese zu verbergen. Dadurch zieht sie sich immer mehr zurück.

Ihre Angehörigen unterstützen sie sehr liebevoll und möchten, dass sie so lange wie möglich in ihrer Wohnung wohnen bleiben kann. Doch Frau O. verlässt kaum noch die Wohnung, kapselt sich ein. Wenn ihre Kinder fragen, was sie denn gern essen möchte, sagt sie: „Das weiß ich nicht, das ist doch egal.“ Wenn ihre Kinder sie zu einem Ausflug mitnehmen möchten oder sie sonst wie zu einer Aktivität ermutigen, sagt sie: „Das kann ich nicht.“

Solche Verhaltensweisen sind bei vielen Menschen mit beginnender Demenz bekannt, doch hier sind sie so ausgeprägt, dass der Zusammenhang mit einer Kriegs- bzw. Nachkriegserfahrung zu vermuten ist. Frau O., die 1945 in der Nähe von Freiburg lebte, wurde damals von französischen Soldaten vergewaltigt. Sie hat nie darüber gesprochen, weil sie sich schämte. Die Kinder erfuhren davon nur durch die ältere Schwester, die es ihnen eines Tages erzählte. Wenn Menschen durch eine sexuelle Gewalterfahrung traumatisiert wurden, führt dies fast immer zu massiver Scham und einer Verringerung des Selbstwertgefühls, des Selbstbewusstseins. Dies umso mehr, wenn die Betroffenen keine Hilfe erfahren haben und nicht darüber sprechen konnten oder wollten. Es ging und geht vielen Frauen so wie Frau O.: Wer vergewaltigt wurde, redet in der Regel nicht darüber, „sonst hätte ich doch nie mehr einen Mann bekommen“, wie eine alte Dame erzählt.

Scham und geringes Selbstwertgefühl treten auch bei beginnender Demenz auf. Treffen sie auf den Boden der Scham und des Selbstwertgefühls als Relikt traumatischer Erfahrungen, können sie sich potenzieren und damit  eine Demenzerkrankung verstärken.