Praxis: Loslassen und gehen können... Trauma und Hospizarbeit

Im Hospiz treten Traumata ebenso auf wie in der Altenhilfe, doch die begrenzte noch zur Verfügung stehende Zeit setzt hier einen besonderen Rahmen. In der Phase des Sterbens können Menschen eine Re-Aktivierung zurückliegender Traumatisierungen erleben und wie im Zeitraffer Kriegsereignisse oder Erfahrungen sexualisierter Gewalt ein weiteres Mal durchleben, mit den bekannten Traumafolgereaktionen: große Unruhe und Angst wie „auf der Flucht “, Panik, Überregung oder Erstarrung.

Ein Trauma kann neben alten Konflikten, die noch der Klärung bedürfen, ein zusätzliches Motiv sein, warum ein Mensch nicht aus dem Leben gehen kann. Während in der Altenhilfe weitere zeitliche Perspektiven und Spielräume vorhanden sind, in denen ein hilfreiches Angebot für einen re-traumatisierten Menschen Kraft entfalten kann, sind im Hospiz die Zeiträume für das Handeln enger. Auch die Traumabegleitung muss diesem Zeitraffer folgen. Der Hospizgedanke, in der letzten Zeit des Lebens den Raum für das Loslassen zu bieten, damit der Weg vom Leben in den Tod ruhig gegangen werden kann, bleibt dennoch die Leitidee.

Etwas zurücklassen können

Grundsätzlich geht es bei Re-Traumatisierungen darum, vor allem Sicherheit in der Angst und der Panik zu geben. Das geschieht zunächst durch Präsenz  - also einfaches „Dasein“: Jemand hört zu, schenkt dem Glauben, was in der Erinnerung traumatisch wieder hochkommt und würdigt die existentielle Bedeutung des Erlebten. Zuhören, Achtsamkeit und Anerkennen - die Kommunikation findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Nicht immer kann ein Mensch in der Sterbephase noch mit Worten ausdrücken, was ihn bewegt. Körperliche Anspannung aber ist erkennbar, ebenso Weinen, Rufen oder Unruhe. Wenn deutlich wird, dass jemand gedanklich wieder auf der Flucht oder in Not ist, muss es darum gehen auf der körperlichen oder emotionalen Ebene wieder - ohne Worte - Sicherheit und Beistand anzubieten.

Wer im Hospiz tätig ist, hat Erfahrungen im Umgang mit der Angst vor dem Sterben. Dieses Wissen hilft grundsätzlich auch bei der Angst, die von einem zurückliegenden Trauma ausgelöst wird. Es macht allerdings handlungssicherer, Hintergrundwissen über mögliche zurück liegende Traumata zu haben, um mitzudenken zu können, welche Art von Traumatisierung wahrscheinlich erlebt wird. Ein Mensch, der beispielsweise 1938 geboren ist, hat den Krieg als Kind und die Nachkriegszeit mit mangelhafter Versorgung, Flucht und Gewalt erlebt. Bis ins Alter werden die Erinnerungen daran in Situationen, die durch Unsicherheit, Angst oder Hilflosigkeit geprägt sind, wieder präsent. Eine Frau, die sexualisierte Gewalt erfahren hat, und durch Berührung von anderen Menschen verletzt wurde, braucht Trost auf einer nicht-körperlichen Ebene. Sie wird es höchstwahrscheinlich kaum aushalten, tröstend angefasst oder umarmt zu werden („Jemand berührt meinen Körper, ohne dass ich das steuern kann oder verbalisieren kann“). Mehr Wissen und Verständnis führt daher zu einem hilfreicheren Handeln in der individuellen Sterbebegleitung.

In Kontakt sein kann dann bedeuten, nicht mit der Hand zu berühren, sondern etwa mit einem Tuch, das an beiden Seiten angefasst wird oder mit einem Igel-Ball, der sanft über den Unterarm gerollt wird - andere körperliche Impulse, die helfen, jemanden wieder in der Gegenwart zu verankern. Auch Duftöle können in einem speziellen Fall hilfreich sein. Musik, Gerüche, Töne und weitere kreative Medien können auf wieder andere Weise Verbindung und Kontakt herstellen. So kann es auch passen, z.B. eine kleine Mundharmonika zu benutzen und mit diesem Instrument den Atem hörbar zu machen.

Wenn die Angehörigen außen vor bleiben sollen

Aus der konkreten Beratungsarbeit mit Frauen wissen wir, dass sie oft noch nie über ihre Gewalterfahrung gesprochen haben. Weder mit dem Partner, noch mit den Kindern oder anderen Angehörigen. Das Geheimnis war eingeschlossen in der eigenen Erinnerung.

Im Hospiz kann der Impuls stark werden, das Schwere endlich hinter sich zu lassen, um den Schmerz und die Not von damals nicht mitzunehmen in den Übergang. Hospizmitarbeiter/innen sind dann in der Rolle als Begleitung und Stütze gefragt und gefordert: Sich zur Verfügung zu stellen, ohne zu bedrängen, zuhören, Glauben schenken und Position beziehen, darauf kommt es jetzt an. Vertrauensvolle intensive Beziehungen können in dieser letzten Zeit des Lebens entstehen. Das Vertrauen kann der Türöffner sein für das Angebot, über das zu sprechen, worüber noch nie gesprochen wurde und so zur Ruhe zu kommen.

Aus der Traumaforschung wissen wir, wie wertvoll es ist, bestimmte Geschichten zurück zu lassen und auf diesem Weg Zeuginnen/Zeugen für das Erlebte gefunden zu haben: Menschen, die bestätigen können, dass es ein Verbrechen und ein Unrecht war, was man erlebt hat. Es tut gut, wenn jetzt nichts in Frage gestellt oder bagatellisiert wird („So war das eben damals im Krieg...“), sondern die Gewalt eine Straftat genannt und nicht länger tabuisiert wird. Menschen, die diesen Beistand hören oder spüren können, finden wieder Ruhe und können gehen bzw. loslassen.

Wissen, Haltung, Erfahrungsaustausch

Bei späten Re-Traumatisierungen können Mitarbeiter/innen in Hospizen auf die hilfreichen Wege zurückgreifen, die unmittelbar in der Hospizarbeit selbst entwickelt wurden. Es geht hierbei nicht um Techniken, sondern vor allem um Haltungen, mit denen kreative Mittel und Materialien eingesetzt werden können. Im Kontakt mit einem sterbenden Menschen wird jeweils behutsam erprobt, welche Art von Beistand stimmig für diesen Menschen und auch für den/die Ehrenamtliche/n ist. Wir erleben bei unseren Fortbildungen, wie sich Teams in diesen Fragen gegenseitig inspirieren, wie sie sicher werden und sich produktiv austauschen, was zu tun ist, wenn jemand in Panik gerät, und was bei wiederkehrenden Traumata geholfen hat. Sie werden gelassener in der Begleitung der Sterbenden. Wissen und Austausch bedeuten auch Selbstfürsorge, ohne die es nicht geht. Denn wer traumatisierte Menschen begleitet, bekommt in einer hohen Dichte wie im Zeitraffer Aspekte von Lebensgeschichten voller Not und Gewalt erzählt. Das kann schnell an die eigene Grenze führen.

Das Wissen und die Handlungskompetenzen, die hier gefordert sind, sind in der Hospizarbeit in der Regel vorhanden. In Schulungen zum Thema Trauma kann man vor allem lernen, dieses Handlungswissen aus der Begleitung sterbender Menschen mit Selbstvertrauen auch bei Re-Traumatisierungen nutzbar zu machen. Dabei hilft das Basiswissen z.B. über geschichtliche Zusammenhänge sowie zusätzliches Wissen über Trauma und Trauma-Reaktivierung.

Vertiefung:

Therese Niestroj, unsere Kooperationspartnerin im Bielefelder AWO-Fachseminar für Altenpflege, schlägt in der folgenden aktuellen Veröffentlichung szenisches Arbeiten zum Thema Alter und Trauma als festen Bestandteil der Altenpflegeausbildung vor. Im Rollenspiel können Schülerinnen und Schüler der Altenpflege typische Traumata kennen lernen und Sicherheit im Umgang mit betroffenen alten Menschen gewinnen.

http://www.cornelsen.de/herausforderung-pflege/1.c.3318856.de (Download kostenlos)

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