Panik und Scham - die Folgen von Vergewaltigung

Panik vor Berührung

Frau O. ist dement, sie vergisst vieles, findet sich oft nicht mehr zurecht, wie ihre Schwester berichtet: „Deswegen mussten wir sie ins Heim geben, nachdem sie sich mehrmals verlaufen hatte. Aber da ist es eigentlich schlimmer geworden, meistens ist sie zwar ruhig, aber manchmal bekommt sie richtige Anfälle“, erzählt die jüngere Schwester, die sie regelmäßig besucht und mit der sie vorher zusammenlebte. „Als in der letzten Woche der neue Zivildienstleistende in ihr Zimmer kam, brüllte sie so laut, wie ich das noch nie von ihr gehört hatte und sie schlug nur noch um sich. Dabei wollte er ihr doch nur helfen. Genauso war es in der Woche davor, als der Zahnarzt ihr das neue Gebiss anpassen wollte. Als der Arzt ihren Mund berührte, biss sie ihn. Ich war dabei und mir war das furchtbar peinlich.“

Auch Frau O. war als 13-Jährige vergewaltigt worden. Seit dieser Zeit war sie Männern, so gut sie konnte, aus dem Weg gegangen oder hatte sich immer sehr kontrolliert, wenn sie mit Männern zu tun hatte. Doch nun, im Altenheim, in einer relativ fremden Umgebung, betritt ein junger Mann, den sie nicht kennt, ihr Zimmer. Sofort ist die Bedrohung durch den russischen Soldaten, der sie vergewaltigt hatte, wieder gegenwärtig; sie schreit und wehrt sich mit Händen und Füßen. Ähnlich ist die Situation beim Zahnarzt. Sie liegt auf dem Patientenstuhl, fühlt sich ausgeliefert, soll den Mund öffnen. Mit ihr geschieht etwas, das sie nicht bestimmen kann. Als dann noch die Berührung eines ihr fremden Mannes hinzukommt, reagiert sie mit Widerstand und beißt zu. Für Außenstehende ist dieses Verhalten unerklärlich, für Frau O. ist es ein sinnvolles Notfallprogramm. Sie wehrt sich, wenn sie sich hilflos fühlt oder auf irgendeine Art und Weise an die Vergewaltigung erinnert wird.