Vorträge und Gruppenangebote

„Wo geht's denn hier nach Königsberg? Wie Kriegserfahrungen heute nachwirken und was hilft“

Zwei von drei Menschen über 75 haben im 2. Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit traumatische Erfahrungen gemacht, die nicht selten unsichtbare Regisseure ihres Verhaltens wurden. Wer um die kriegstraumatischen Erfahrungen und ihren Auswirkungen weiß, kann lernen wie man praktisch damit umgehen kann. Die Veranstaltung umfasst Informationen, Diskussionen, musikalische und kreative Beiträge und Einheiten.

Alle Vorträge werden im Rahmen des Projektverbundes Alter und Trauma kostenlos angeboten:

In der Region Rhein-Ruhr bietet das Institut für Soziale Innovationen ISI e.V. die Veranstaltung auch als kostenloses Inhouse-Angebot an. Hier können Sie Kontakt mit uns aufnehmen.

Zweites Bielefelder Erzählcafé

Nach dem erfolgreichen ersten Erzählcafé (siehe „Nachlese“ in diesem Newsletter) soll auch das zweite Erzählcafé am 21. April 2015 Raum für Gespräche, für Geschichten aus „alten Zeiten“, Lebenserfahrungen und -erinnerungen geben. Es gibt die Möglichkeit den Erzählungen anderer zu lauschen oder auch eigene Gedanken und Erinnerungen beizutragen.

Dienstag, 21.04.2015, 15:00 bis 17:00 Uhr

Haus der Kirche, Markgrafenstraße 7, 33602 Bielefeld

Anmeldung bitte bis zum 14. April beim Evangelischen Kirchenkreis, Cora Klemp

Tel. 0521-5837155, cora.klemp@kirche-bielefeld.de

Gesprächsgruppe "Die Zeit heilt nicht immer alle Wunden… "

Gesprächsgruppe für ältere Frauen ab 25.03.2015

Im Rahmen des Projekts „Alter und Trauma“ startet in Bielefeld eine Gesprächsgruppe für ältere Frauen mit belastenden Erfahrungen wie etwa Gewalt, Flucht oder Vertreibung. Die Gruppe trifft sich am 25.03.2015 zum ersten Mal und findet dann 14-tägig immer mittwochs von 15.30 - 17.30 Uhr in den Räumen von Wildwasser Bielefeld e.V. statt.

Bei Interesse melden Sie sich bitte bei

Wildwasser Bielefeld e.V., Sudbrackstr. 36a, 33611 Bielefeld

Tel. 0521-175476, info@wildwasser-bielefeld

Weitere Infos finden Sie im Flyer und auf der Homepage von Wildwasser Bielefeld e.V..

Nachlese: Resonanzen auf Projektaktivitäten in Bielefeld und an Rhein und Ruhr

„Von Angst zu reden war nicht in Mode“

Erzählcafé-Reihe in Bielefeld mit der Schriftstellerin Sigrid Lichtenberger erfolgreich gestartet

Sie schrieb Gedichte, als ihr Alltag als Hausfrau und Mutter sie krank machte. Sie fand und findet bis heute Worte für Alltägliches und Bedrohliches aus der Vergangenheit, wo andere erst noch suchen müssen in den verschütteten Tiefen ihrer Erinnerungen. Auch darum lud Anke Lesner von Wildwasser e.V. Bielefeld die Schriftstellerin Sigrid Lichtenberger ein, das erste von drei Erzählcafés im Dezember mit einer Lesung zu eröffnen. Sigrid Lichtenberger, geboren 1923 in Leipzig, seit 1953 ansässig in Bielefeld, hatte schon als junges Mädchen begonnen zu schreiben. Ihre Gedichte und Prosastücke legen in zahlreichen Büchern ein persönliches, waches und kritisches Zeugnis ab über ein typisches Frauenleben in der Nazizeit und im Nachkriegsdeutschland, über Heimat, Sehnsüchte, Flucht und Neuanfang.

Im Erzählcafé teilten die über 20 Besucherinnen und Besucher dann auch ihre eigenen Erfahrungen und die ihrer Angehörigen miteinander und mit der Autorin: Gelegenheit zum Reden über Flucht und Panik, über Traumata von Angehörigen und über die Zumutungen an eine Generation.

Besonders beeindruckend dann ein kleines Prosastück zum Ende: Sigrid Lichtenberger über ihren geliebten Mann, der gar nicht passen wollte in die Zeit, die Männer zu Helden und Herrenmenschen erzogen hat: „Landgraf werde hart. Ein Junge kannte keine Tränen. Ein Mann ist ein Held. Er zieht in den Krieg und siegt. Aber er hat nicht gesiegt. Er hat nie begreifen können, dass er leben durfte, während andere sterben mussten. Allein darf er weinen. Wer wusste damals, welche Lasten an Erinnerung du in dir trägst.“

Auch die Wünsche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für weitere Erzählcafés wurden an diesem Abend erfragt. Sie zeigen, allein schon für das Themengebiet Alter und Trauma, ein breites Spektrum drängender Fragen: zum Beispiel danach, wie Männer mit den Kriegserfahrungen umgegangen sind; zum Beispiel danach, wie Menschen ihre Traumata überwinden konnten; oder auch die Frage danach, wie das Schweigen überwunden werden kann über die Kriegszeit und die Gefühle damals; einige wollen reden und mehr erfahren über das Verhältnis von (erwachsenen) Kindern zu ihren Eltern der Kriegsgeneration und die Möglichkeiten, sich zu erinnern; einige wollen wissen, was Trost gibt, was Trost ist; und einige erinnerten daran, dass wir die Traumata von Flüchtlingen, die unter uns leben, ernst nehmen müssen.

Ein gelungener Start – und viele Aufträge zum Weitermachen.

Informationen zum zweiten Erzählcafé am 21.04.2015

„Wenn ich das früher gewusst hätte ...“

Vorträge und Impulsveranstaltungen von ISI stoßen auf reges Interesse

Das ISI-Angebot über Kriegstraumatisierungen zu informieren und Anregungen für einen sensiblen, hilfreichen Umgang mit betroffenen älteren Menschen zu geben, findet großen Anklang. Sämtliche Veranstaltungen sind meist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Drei Beispiele dazu:

Vorträge und Impulse

In Zusammenarbeit mit der Fliedner Akademie im Duisburger Süden nahmen rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Impulsveranstaltung „Wo geht’s denn hier nach Königsberg? Wie Kriegserfahrungen heute nachwirken und was hilft“ am 15. Januar teil. Vier Stunden lang beschäftigten sich Gäste zwischen 18 und 84 mit den Folgen von Kriegstrauma und den Möglichkeiten zu helfen. Alte Menschen waren darunter, die selbst unter den schlimmen Kriegsereignissen gelitten hatten und deren Leiden im hohen Alter wieder hervorbrachen. Schülerinnen eines Altenpflege-Fachseminars setzten sich mit diesem Thema auseinandersetzen und können nun viele verstörende Verhaltensweisen alter Menschen besser verstehen. In die lebhaften Diskussionen brachten Angehörige und Pflegekräfte ihre Erfahrungen und Fragen ein. Verstehen, trösten und die Haltung: „Sie sind nicht allein, ich passe auf Sie auf!“ – sind Hilfestellungen, die neben konkreten Tipps und Hinweisen auf große Resonanz stoßen: „Wenn ich das früher gewusst hätte,wäre ich mit meiner Mutter anders umgegangen“, sagte eine Teilnehmerin.

Vernetzung

Bei mehreren Veranstaltungen informierte das Institut für Soziale Innovationen (ISI) über die Folgen kriegstraumatischer Erfahrungen bei Alzheimer-Gesellschaften in Rhein-Ruhr. In Neuss, Dormagen und Düsseldorf beteiligten sich Betroffene und ihre Angehörigen lebhaft an den Diskussionen. Auch Dozentinnen und Dozenten der Alzheimer-Gesellschaft NRW ließen sich auf einem Fachtag informieren, um die gewonnenen Erkenntnisse in ihrer weiteren Tätigkeit zu nutzen.

Bei Veranstaltungen in Monheim und in Ratingen (in Kooperation mit der Ratinger Demenz-Initiative) kamen Gewalterfahrungen wie Zwangssterilisationen oder die Angst der Frauen im Krieg vor der Nachricht, dass Angehörige im Kampf gefallen seien, zur Sprache. Obwohl es viele betraf, erfuhren die Menschen damals mit ihren Ängste und Erfahrungen selten Zuwendung und tröstende Anteilnahme. Im Alter können die angstvollen Erinnerungen wieder aufbrechen. Doch anders als damals, kann man heute darüber sprechen und es gibt Trost.

Seminare

„Ich nehme meine Bewohner komplett anders wahr“, sagte eine Teilnehmerin an einem Vertiefungsseminar. In einem vorher gehenden Fachseminars von ISI hatten die Fachkräfte aus der Altenhilfe bereits Grundlagen für das Verständnis und den Umgang mit traumatisierten alten Menschen vermittelt bekommen. „Ich habe viel mehr Erklärungen für sonderbares Verhalten und kann besser darauf eingehen“, sagte ein Teilnehmer.

In einem Seminar über „Alter und Trauma“ von ISI im Ruhrgebiet informierte die Projektleiterin Gitta Alandt Fachkräfte der Altenpflege, dass fast alle traumatisierten Menschen sich in der „Zeit danach“ allein und allein gelassen fühlten. Deshalb helfe es sehr, zu den traumatisierten alten Menschen zu gehen und zu sagen: Sie sind jetzt nicht allein. Ich passe auf Sie auf. Eine Pflegerin bestätigte dies aus ihrer Erfahrung: „Das habe ich erst nicht geglaubt, das kam mir zu einfach vor. Aber ich habe es ausprobiert. Es hilft wirklich. Die Leute beruhigen sich sofort. Es wird bei den meisten ganz schnell alles anders. Großartig!“

Mediathek

Lesen: Zwei Neuerscheinungen

Peggy Parnass (Erstausgabe 2012): Kindheit. Wie uns unsere Mutter vor den Nazis rettete.

Mit Farbholzschnitten von Tita do Rêgo Silva. Fischer Verlag (KJB), Frankfurt, 75 Seiten

„Meine Erinnerungen wechseln von Tag zu Tag, ganz nach Verfassung. Entweder nur eine Aneinanderreihung von Albträumen. Oder so, dass es mir vor Sehnsucht und Verlangen das Herz zerquetscht und mir Tränen in die Augen treibt. Egal wie, jede Erinnerung hängt mit Mutti zusammen. Mir ihrer Anwesenheit oder Abwesenheit. Daran hat sich leider nichts geändert. Komisch - einerseits nie Kind, andererseits nie erwachsen.“

So beginnt die Erzählung der in Hamburg lebenden Peggy Parnass, die vor allem als Gerichtsreporterin bekannt wurde. Eigentlich müsste gleich hinter dem Titel „Kindheit“ ein Fragezeichen stehen. Über die ganze Erzählung hinweg, sucht die Autorin vor allem nach der Antwort auf die Frage, ob sie und ihr Bruder jemals Kinder waren und wann ihre Kindheit endete. Als die Lage für die jüdische Familie in Deutschland immer bedrohlicher wird, bringt die Mutter die damals fünfjährige Peggy in einer Pflegefamilie in Stockholm unter. Getrennt von ihrem jüngeren Bruder verbringt das Kind die folgenden Jahre in zwölf verschiedenen Pflegefamilien.

Der Perspektive des Kindes folgt der Grundtenor des Jugendbuches (ab 13 J.): Ein lebhaftes Bild entsteht, das die Einsamkeit der Kinder, das Unrecht und die große Schutzlosigkeit einfängt. Die Farbholzschnitte der brasilianischen Künstlerin Tita do Rêgo Silva geben den Erinnerungen an die Mutter, die die Kinder beim Abschied auf dem Hamburger Bahnhof zum letzten Mal sehen, einen unerwartet farbenfrohen und doch behutsam gewählten Rahmen.

Thomas Gnielka (2014): Als Kindersoldat in Auschwitz. Die Geschichte einer Klasse.

CEP, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 183 Seiten

Als Hilfskräfte im Lager Auschwitz-Birkenau verbrachte die Klasse des Autors, Thomas Gnielka, die letzten 13 Monate vor Kriegsende. Aus der Perspektive dieser Jungen, Geburtsjahrgang 28, werden die Erfahrungen und ihre traumatisierenden Folgen erzählt. Das Wort „Kindersoldaten“ im Titel lässt keinen Zweifel daran, dass es gerade 15jährige waren, die von der Schulbank in die Nähe der Front gebracht wurden. Sie erlebten Gewalt gegenüber den Insassen, Hunger und Kälte, denen die Menschen ausgesetzt waren.

Fast sachlich, im Berichtston erzählt, wird das Trauma dieser Jungengeneration umso deutlicher. Verständlich auch, warum die große Mehrzahl der Klasse diese prägenden 13 Monate lieber aus dem eigenen biografischen Gedächtnis streichen wollte. Thomas Gnielka hat Bruchstücke dieser Erfahrungen fest gehalten: Da gibt es einen, der angesichts seiner Kriegserlebnisse, in der Schule nicht mehr zuhören konnte. Andere wurden unpolitisch, aus dem Wissen heraus, dass sie ausgenutzt worden wurden, wieder andere schwiegen und ließen keine Fragen mehr zu. Der Autor selbst war später als Redakteur der Frankfurter Rundschau tätig, verstarb mit 36 Jahren und ließ seine Erinnerungen als Romanfragment zurück.

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