Demenz/Trauma: Ähnlichkeiten und Unterschiede

Unruhe

Unruhe kann sowohl die Folge kriegstraumatischer Erinnerungen als auch Ausdruck der inneren Desorientierung bei Demenz sein und sich in Schlaflosigkeit und Bewegungsdrang äußern.

Herr F. leidet an fortgeschrittener Alzheimer-Demenz und irrt umher. Er ist auf der Suche und weiß nicht, was er sucht. Frau F. dagegen hat im Krieg ihre Tochter verloren und ist auf der Suche nach ihr. „Maria, Maria!“, ruft sie.

Verzweiflung

Auch die Verzweiflung ist die Begleiterin beider Probleme. Die Diagnose „Alzheimer“ bedeutet „unheilbar“, was Verzweiflung hervorrufen kann. In der Kriegs- und Nachkriegszeit haben viele Menschen ebenfalls ausweglose, leidvolle Situationen erlebt, die bei kriegstraumatischen „Flashbacks“ wieder belebt werden können.

„Seit Frau S. weiß, dass sie an Alzheimer erkrankt ist, zieht sie sich immer mehr zurück“, erzählt die Mitarbeiterin eines Altenheims. „Ich glaube, sie ist verzweifelt, hat zu nichts mehr Lust, ihre ganze Lebensfreude ist weg. Ihre Zimmernachbarin war schon immer so. Als sie einmal hörte, wie sich zwei Kolleginnen im Flur russisch unterhielten, ist sie ausgeklinkt. Dabei waren das doch nur Aussiedler. Wir konnten sie nicht beruhigen. Sie bekommt seitdem Beruhigungsmittel.“

Scham

Auch die Scham ist ein häufiger Wegbegleiter: Sie ist bei Menschen mit kriegstraumatischen Erfahrungen ebenso verbreitet wie die Scham bei den demenzkranken Menschen.

Viele schämen sich ihrer Demenz und versuchen die damit verbundenen Verluste zu verstecken. Als Herr F. merkte, wie sein Gedächtnis immer mehr nachließ, schämte er sich. Er wusste genau, dass er einen Menschen, den er im Haus traf, kannte, aber er wusste nicht mehr, wie er hieß. Also tat er so, als würden sie sich kennen und vermied, den Namen zu nennen. Wenn er den Weg vom Spar-Laden in seine Wohnung nicht mehr fand, sagte er Passanten, er sei Tourist, und fragte nach dem Weg. Die Zeitung bestellte er ab, ja, das konnte er. Aber lesen, das ging immer schlechter. Deswegen schimpfte er, als sein Sohn da war, auf die Politik und sagte, dass er gar keine Lust mehr habe, Zeitung zu lesen, „weil die ja doch alle lügen“.

Scham begleitet häufig auch das Wiedererleben von Kriegstraumata. Die Betroffenen schämen sich ihrer Gefühle und der damit verbundenen Hilflosigkeit. Die Scham der Opfer, die Scham der Überlebenden wirkt nach.

„Als meine Mutter mir zum ersten Mal erzählte, was damals mit meinem Vater und ihr geschah, da war sie blass vor Aufregung und hatte rote Flecken vor Scham. Sie fragte immer wieder, ob ich das wirklich hören wolle und ob das nicht zu peinlich sei. Sie schämte sich zutiefst.“

Vereinsamung und sozialer Rückzug

Vereinsamung und sozialer Rückzug können sowohl auf eine Traumatisierung zurückgehen, als auch typischer Ausdruck einer Demenz sein. Viele wollen oder können sich so, wie sie sind, anderen nicht mehr zumuten, ziehen sich zurück und vermeiden den Kontakt. Bei Menschen mit einer Demenzerkrankung entspringt dies der Scham und der Hilflosigkeit, bei Menschen mit kriegstraumatischen Erfahrungen häufig der Angst, andere geliebte Menschen zu überfordern.

Vor einigen Jahren war Herr B. bei mir in therapeutischer Behandlung. Er litt unter für ihn unerklärlichen Angstattacken. Als deutlich wurde, dass sie in den Kriegserlebnissen ihre Quelle hatten und wie diese mit den Angstanfällen zusammenhingen, erzählte er, dass er nie über die Kriegserlebnisse sprechen konnte: „Das war doch schon alles für mich zu viel. Da musste es doch erst für die andern zu viel sein. Ich war doch so froh, dass meine Frau jemand Kaputten wie mich überhaupt genommen hat. Das konnte ich nicht aufs Spiel setzen. Als dann meine Tochter anfing, mich auszufragen nach dem Krieg - die hatten das in der Schule - hat mich das so aufgewühlt, dass ich eine Zeit lang gar nicht mit ihr reden konnte. Das ging doch nicht, so einem jungen Mädel so was anzutun.“